Veröffentlichte Geheimdokumente: Was über den Verdächtigen der Pentagon-Leaks bekannt ist (2024)

Der Mann, der geheime US-Unterlagen ins Netz gestellt haben soll, ist verhaftet. Was trieb ihn an? Wie kam das FBI auf seine Spur? Antworten auf die wichtigsten Fragen

Von Tobias Dorfer, Los Angeles

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Der Mann, der mutmaßlich zahlreiche US-Geheimdienstinformationen zum Ukraine-Krieg im Internet geteilt haben soll, ist im Bundesstaat Massachusetts festgenommen worden. (Was in den Dokumenten steht, haben wir hier zusammengefasst.) Doch der Fall wird die amerikanische Regierung – vor allem: das Verteidigungs- und das Justizministerium – weiter beschäftigen. Wer ist der Nationalgardist, dem es offenbar problemlos gelang, sensible Informationen nach Hause mitzunehmen und wochenlang in einer Chatgruppe zu teilen, ohne dass die Behörden darauf aufmerksam wurden? Was waren seine Beweggründe? Und wie fanden die Dokumente von einem geschlossenen Server auf Discord hinaus in öffentlich einsehbare Plattformen wie Twitter? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wer ist der Mann, der die Geheimdokumente öffentlich machte?

Bei dem Verdächtigen soll es sich um einen 21 Jahre altenMann aus dem US-Bundesstaat Massachusetts handeln. Wie die New York Times undCNN übereinstimmend berichten, arbeitet er bei amerikanischen Nationalgarde. Ein Facebook-Posting, auf das sich CNN bezieht, legt nahe, dass Jack T. erst kürzlich zum "Airman First Class" befördert wurde – ein eherniedriger Rang im US-Militär.

T. soll einem Bericht der Washington Post zufolge Waffenfansein – in einem Kanal auf der vor allem bei Gamern beliebten Plattform Discord hat er demnach auch ein Video gepostet, in dem ermit einem Gewehr in der Hand zu sehen ist. Der Mann, der im Forum "OG" genannt wurde, brüllt demnach eine Reiherassistischer und antisemitischer Beleidigungen in die Kamera und drückt ab.Auch die Bezeichnung des von ihm geleiteten Discord-Kanals "Thug Shaker Central", über den er die Unterlagen geteilt haben soll,könnte eine rassistische Anspielung sein. Laut New York Times wurden in denChats neben Videos und den Geheimdokumenten auch rassistische Memes geteilt.

Aufgewachsen in einem Vorort der Stadt Providence im US-BundesstaatRhode Island, besuchte Jack T. nach CNN-Informationen die Highschool und trat imSeptember 2019 in die Nationalgarde ein. Seine Mutter, die ein Blumengeschäftbetreiben soll, hat dem Bericht zufolge die militärische Laufbahn ihres Sohnesimmer wieder auf dem Instagram-Account ihres Unternehmens gelobt.

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Was war seine Aufgabe in der Nationalgarde?

Verantwortliche der amerikanischen Luftwaffe berichteten derNew York Times, dass der 21-Jährige als Spezialist für Cybertransportsysteme ausgebildetwurde. Seine Aufgabe war es demnach, das Kommunikationsnetz derTruppe zu betreuen und am Laufen zu halten.

Die New York Times hat darüber hinaus Beiträge in sozialenNetzwerken gesichtet – unter anderem ein Posting auf der Facebook-Seite des 102ndIntelligence Wing, auf der Kollegen dem Verdächtigen zur Beförderung als AirmanFirst Class gratulieren. Beamte der Luftwaffe sagten der Zeitung, dass der 21-Jährigemit einer Medaille ausgezeichnet wurde, die Nachwuchsoffizieren fürbemerkenswerte Leistungen verliehen wird. Laut CNN ist die Verleihung für Mitarbeiterseines Rangs und Alters aber eine durchaus übliche Auszeichnung.

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Welche Beweggründe hatte er, die Dokumente zu veröffentlichen?

Das ist bisher noch unklar, da sich T. bislangnicht öffentlich geäußert hat. Mögliche Motive lassen sich jedoch aus einem Gesprächherauslesen, das die Washington Post mit einem Mitglied der Discord-Chatgruppegeführt hat, in der der 21-Jährige die Informationen und Dokumente mutmaßlichgeteilt hat. Demnach habe der Verdächtige in den Chats darauf bestanden, dassdie anderen Mitglieder seine Informationen lesen und seinen Postings Aufmerksamkeitschenken. "Das könnte einerseits Angeberei vor Freunden gewesen sein, aber auch derWunsch, uns zu informieren", sagte das Chatgruppenmitglied.

Den USA oder staatlichen Institutionen sei der Verdächtigeaber nicht feindlich gesinnt. "Er ist kein russischer Agent. Er ist keinukrainischer Agent", zitiert die Zeitung das Mitglied. Allerdings habe ereine düstere Sicht auf die Vereinigten Staaten, insbesondere auf die Arbeit derGeheimdienste.

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Wie ging er bei der Veröffentlichung der Unterlagen vor?

Der 21-Jährige hatte offenbar bei seiner Tätigkeit Zugang zuden geheimen Unterlagen – und konnte diese auch mit nachHause nehmen. Zunächst soll er in dem von ihm geleiteten geschlossenen Discord-KanalAbschriften der Dokumente veröffentlicht haben, später dann dieselbst abfotografierten Unterlagen. Unklar ist, ob ihm das Abschreiben irgendwann zumühsam wurde oder ob er sich von Bildern der Originale mehr Aufmerksamkeitversprach.

Nach Angaben des Gruppenmitglieds, mit dem die Washington Postsprach, waren auf dem Kanal etwa 25 Mitglieder aus der ganzen Welt aktiv – etwaaus Europa, Asien und Südamerika. Und offenbar auch aus Russland und derUkraine.

Die Mitglieder verband einem New-York-Times-Bericht zufolge ihrInteresse an Waffen – aber auch an rassistischen Onlinememes und Videospielen.Die meisten der Mitglieder sollen im Teenageralter gewesen sein, Jack T.war demnach deutlich älter als die meisten der anderen User.

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Wie gelangten die Dokumente von einem geschlossenen Chatsystem ins öffentlich zugängliche Netz?

Ab Ende Februar tauchten die geheimen Unterlagen auch aufanderen Discord-Servern auf, beispielsweise auf einem Fanforum für YouTuber. Wahrscheinlichhat ein Gruppenmitglied die Inhalte weiterverbreitet.

Das Investigativnetzwerk Bellingcat hat den Weg verschiedenerDokumente vom ursprünglichen Chatraum über weitere Discord-Server und die Plattform4chan bis zu Telegram nachgezeichnet, wo die Inhalte vor allem von prorussischen Kanälen weiterverbreitetwurden, und schließlich zu Twitter. Die US-Regierung soll erst etwas davon gemerkthaben, als die Dokumente auf Telegram auftauchten.

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Wie kamen Ermittler und Journalisten auf die Spur von Jack T.?

Laut CNN konnten die Ermittler den Weg der Dokumentezurückverfolgen und die Zahl der verdächtigen Menschen relativ schnell auf dieMitglieder der ersten Discord-Gruppe eingrenzen. Ein Weg, um die Identität desLeakers zu erfahren, waren die Fotografien der Dokumente, die der 21-Jährigeoffenbar auf dem Küchenboard seines Elternhauses angefertigt hat. Eine Granitplattemit markantem Muster ist sowohl auf den Fotos der Dokumente zu sehen als auchauf Fotos der Inneneinrichtung, die von einem Familienmitglied des Verdächtigengepostet wurden.

Die New York Times konnte T. auch anhand seinesOnlinegamingprofils und Inhalten, die er mit anderen Mitgliedern derChatgruppe teilte, identifizieren.

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Wie lief die Verhaftung ab?

Vor der Festnahme wurde der Verdächtige offenbar mehrereTage lang überwacht. Das berichtet CNN. Dem Bericht zufolge wollte das FBI den21-Jährigen festnehmen, wenn er am Donnerstagmorgen das Haus verlässt, um zur Arbeitzu gehen. Laut New York Times war etwa ein halbes Dutzend FBI-Beamte vor Ort.

Die Beamten waren nicht allein. Auch Reporterder New York Times hatten sich auf den Weg nach Massachusetts gemacht und klopftenan die Tür des Elternhauses. Dem Bericht zufolge sprachen die Journalisten mit T.s Mutter. Sie soll den Reportern die Identität ihres Sohnes bestätigt undihnen erzählt haben, dass der mutmaßliche Leaker zuletzt immer wieder Nachtschichtenfür die Nationalgarde gemacht hätte. Außerdem habe er kürzlich seineTelefonnummer geändert.

Später soll der Verdächtige auf das Grundstück gefahren sein,wo er festgenommen wurde. Der Mann sei in Verbindung mit der "unbefugtenEntfernung, Aufbewahrung und Übermittlung von Verschlusssachen" in Gewahrsamgenommen worden, sagte US-Justizminister Merrick Garland.

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Wie geht es nun für den Verdächtigen weiter?

Am Freitag wird der Festgenommene laut CNN vor einem Bundesgericht in Bostonerscheinen. Bei einer Verurteilung droht Jack T. eine lange Haftstrafe. Verstößegegen das US-Spionagegesetz können jeweils mit bis zu zehn Jahren Haft geahndetwerden. Jedes geleakte Dokument könnte als einzelner Verstoß gewertet werden, die Zahl sich also auf viele Jahrzehnte summieren.

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Welche Folgen hat der Fall für die Sicherheitsarchitektur des US-Militärs?

Die Frage, wie der 21-Jährige, an die Dokumente kommenkonnte – und vor allem: wie er sie unbemerkt mit nach Hause nehmen konnte –,wird wohl noch eine Diskussion nach sich ziehen.

Zwar haben die USA nach den Snowden-Enthüllungen im Jahr2013 ihre Sicherheitsarchitektur für geheime Unterlagen verstärkt. Allerdings entstammendie jetzt veröffentlichten Dokumente offenbar vor allem Briefings, die fürhochrangige Beamte des Pentagon zusammengestellt wurden, gehen also durch relativ viele Hände.

Das Pentagon hat laut CNN bereits damit begonnen, dieEmpfängerlisten von Geheimdienstinformationen zu überarbeiten. Demnach sollenbereits einige Beamte, die früher derartige Briefings bekommen haben, aus demVerteiler genommen worden sein. Alle E-Mail-Listen würden überprüft, sagte einhochrangiger Verteidigungsbeamter dem TV-Sender.

Offiziell lässt das Verteidigungsministerium nur wenigverlautbaren. Laut einem Sprecher prüft man Möglichkeiten, um künftigeLecks zu vermeiden.

Ein nicht namentlich genannter US-Beamter sagte zuCNN: "Viel zu viele Menschen haben Zugang zu sehr sensiblen Informationen."Wahrscheinlich hätten "Tausende" Menschen die Dokumente gesehen, bevor sie insInternet gestellt wurden.

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