Franklin D. Roosevelt: Sein New Deal impfte Amerika Zuversicht ein - WELT (2024)

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Manchmal sind es die kleinen Details, die im schlimmsten Elend für ein wenig Orientierung sorgen. So wie die Schnüre, die in den 30er-Jahren zu den Tabakpäckchen der Marke „Bull Durham“ gehörten: Wenn sie aus den Jackentaschen von Männern hingen, die alles verloren hatten, war die Botschaft klar. Sie lautete: „Ich bin zwar am Boden, aber leg’ dich trotzdem nicht mit mir an, ich bin zu hart für dich.“ So erinnerte der Schriftsteller Charles Bukowski die Zeit der Großen Depression in seiner Autobiografie „Fast eine Jugend“.

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Politiker hielt dieser Autor bestenfalls für korrupt. Trotzdem würdigte sogar er das Rednertalent seines Präsidenten Franklin Delano Roosevelt (1882–1945). Zurecht, denn anders als sein Vorgänger Herbert Hoover gelang es diesem Mann bei seinen Radio-Ansprachen, einen Ton zu treffen, der seinen Landsleuten inmitten der Malaise immer wieder Hoffnung gab: „Wir brauchen uns vor nichts zu ängstigen als vor der Angst selbst“, gehört zu den Sätzen, die ihren Schöpfer überlebt haben. Ein konkretes Krisenrezept lieferte der US-Präsident auch: „Hör’ nie auf, etwas zu versuchen. Wenn du siehst, es funktioniert nicht, versuch’ etwas anderes. Und egal, wie dick es kommt: Versuch’ überhaupt etwas.“

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Speziell diese Worte kann man wohl als inoffizielles Motto jenes Programms bezeichnen, das unter dem Namen „New Deal“ am 4. März 1933 unterzeichnet wurde. Bis heute streiten Historiker und Wirtschaftsexperten, wie seine Ergebnisse zu bewerten sind. Aber eines muss Roosevelt und seiner Administration auch der schärfste Kritiker lassen: Es war tatsächlich der Versuch, zumindest teilweise einen neuen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln. Dafür war die Regierung bereit, Dinge zu ändern, die vorher als sakrosankt galten. So urteilte Roosevelt: „Was auch immer wir tun, um unserer maroden Wirtschaftsordnung Leben einzuhauchen, wir können dies nicht längerfristig erreichen, solange wir nicht eine sinnvollere, weniger ungleiche Verteilung des Nationaleinkommens erreichen.“

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Besonders erstaunt immer wieder die Wucht, mit der die Krise über die USA gekommen war. Noch 1928 hätte niemand den großen Börsencrash ein Jahr später für möglich gehalten. Der republikanische Präsident Herbert Hoover versprach seinem Volk just in diesem Jahr noch, schon bald werde sich „ein Huhn im Topf“ aller Amerikaner finden. Einzig der Erdöl-Milliardär John D. Rockefeller hatte einer Anekdote zufolge böse Vorahnungen: Als ihm ein Schuhputz-Junge plötzlich Aktientipps geben wollte, so lautet die Legende, sei ihm klar gewesen, dass viel zu viele ahnungslose Menschen sich auf das Börsenparkett gewagt hatten. Das konnte nicht gesund sein.

Als die Blase platzte, sah Präsident Hoover zunächst trotz millionenfacher Armut keinen Grund dafür, vom amerikanischen Glauben an den Markt und an das Individuum abzukehren, das sein Schicksal allein meistert. Später trieb er zögerlich Maßnahmen wie den Bau von Staudämmen voran, hielt aber an einer Politik des ausgeglichenen Haushalts fest, was die wirtschaftliche Entwicklung abwürgte. Vor allem aber gelang es ihm nicht, ein Charisma zu entwickeln, das irgendwen zu irgendetwas mitgerissen hätte. Hoover wirkte oft unnahbar; in einer Krise solchen Ausmaßes war das die denkbar schlechteste Voraussetzung, um Aufbruchstimmung zu erzeugen.

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Da war Roosevelt von einem ganz anderen Schlag. Nach den gewonnenen Wahlen von November 1932 deklinierte er den Satz „It’s the economy, stupid!“ („Es geht um Wirtschaft, Dummkopf!“) knapp 60 Jahre vor Bill Clinton bereits auf eine Weise durch, dass selbst die eigenen Leute beim Tempo der Verordnungen kaum mehr mitkamen. Im Mittelpunkt stand stets die Frage: Inwieweit darf der Staat in einem so freiheitlich orientieren Land wie den USA in die Regeln des Marktes eingreifen, wenn diese Regeln Massenelend nicht verhindern konnten?

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Die Forschung ist sich immerhin einig, dass Roosevelt die Antwort zu Beginn selbst nicht kannte. Gerade in der ersten Phase improvisierte er mit seinen Beratern drauflos und verließ sich ansonsten auf sein rhetorisches Talent. Doch war von Anfang an klar: Sein Programm betraf jeden Bereich der amerikanischen Wirtschaft – sowohl das Geld- und Kreditsystem wie die Landwirtschaft, die Industrie wie den Arbeitsmarkt. Dies erforderte eine Bürokratie, wie sie vorher in den USA undenkbar gewesen wäre, denn die Reformen mussten zentral von Washington aus gesteuert werden.

Höchste Dringlichkeit hatte die Bankenkrise, denn sie hatte sich seit Roosevelts Amtsantritt noch einmal verschlimmert. Im Zuge des Börsencrashs hatten neun Millionen Amerikaner, zumeist Angehörige der Mittelschicht, 2,5 Milliarden Dollar verloren. Schon am 9. März 1933 verabschiedete die Regierung den „Emergency Banking Act“, der das Finanzministerium mit größeren Aufsichtsbefugnissen ausstattete. Bald folgten eine Versicherung für Bankeinlagen und eine Börsenaufsicht, die übersteigerte Spekulation und Insider-Geschäfte verhindern sollte. Das Vertrauen der Sparer kehrte überraschend schnell zurück – wohl auch, weil seit 1934 die Möglichkeit bestand, von der Kündigung bedrohte Hypotheken mit staatlicher Hilfe zu refinanzieren.

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Allerdings fuhr Roosevelt in der Geldpolitik einen Kurs, der auf Kosten des Welthandels ging. Die Regierung gab den Goldstandard auf, um den Dollar abzuwerten und die Nachfrage auf dem Weltmarkt anzukurbeln. Dieser Alleingang hatte zur Folge, dass auch andere Länder ihre Währungen abwerteten und hohe Zölle auf Produkte aus dem Ausland erhoben. Die Freigiebigkeit riss außerdem bald Defizite im Haushalt auf, denen die Administration doch wieder durch Kürzungen begegnete, bis 1938 klar war, dass dies die Erholung entscheidend verzögern würde.

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In der Landwirtschaft setzte Roosevelt auf eine Kombination vorn Anbaubeschränkungen für bestimmte Produkte und Subventionen für andere wie Weizen, Baumwolle und Tabak. Sein Ziel war es, die Erzeugerpreise dem industriellen Preisniveau anzugleichen. Es gab auch Kredite mit subventioniert geringen Zinsen, um Zwangsversteigerungen abzuwenden. Davon profitierten aber vor allem die weißen Großbauern im Süden – Roosevelts Demokraten hatten unter ihnen traditionell eine große Wählerbasis und waren auf ihre politische Hilfe angewiesen.

Doch das Kernstück der ersten Phase des „New Deal“ war der „National Industrial Recovery Act“. Im Mittelpunkt der US-Wirtschaftspolitik hatte stets gestanden, Kartellbildungen zu verhindern; nun war eine Regierung im Amt, die Produktions- und Preisabsprachen gestattete, um einen „ruinösen Wettbewerb“ zu verhindern. Roosevelt versuchte, die Gewerkschaften auf seine Seite zu bringen, indem er Vereinbarungen über Mindestlöhne, Höchstarbeitszeiten, das Verbot von Kinderarbeit und freie Tarifverhandlungen in die „Codes of Fair Business Practices“ aufnahm. Die stärkere Monopolbildung wirkte jedoch Experten zufolge der ökonomischen Besserung entgegen.

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Die Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung wiederum bringen den experimentellen Charakter des „New Deal“ zum Vorschein. Entsprechende Programme aus Washington und den Einzelstaaten beispielsweise zum Bau von Dämmen, Stromleitungen oder Chemiefabriken wurden aufgelegt und zurückgenommen oder existierten nebeneinander her. In Washington kursierte der bittere Witz, dass selbst führende Politiker in dem Wust von Abkürzungen für die Maßnahmen den Überblick verloren hätten.

Unter diesen Voraussetzungen wundert es nicht, wie stark die Opposition gegen Roosevelts Vorhaben zwischenzeitlich war. Besonnene Wissenschaftler und Journalisten warnten davor, die Maßnahmen würden verpuffen, weil dem Staat unweigerlich das Geld ausgehen müsse (John Maynard Keynes entwickelte seine Theorie des Schuldenmachens in der Krise erst 1938). Gewerkschaften forderten die schnellere Beseitigung der Arbeitslosigkeit, konservative Unternehmer weniger Restriktionen, und der Supreme Court verhinderte mehr als nur ein Gesetz.

Dies alles ergab ein ideales Klima für zumeist linke Populisten. Besonders großen Zulauf hatte zwischenzeitlich ein Mann namens Huey P. Long. Von 1928 bis 1932 hatte er als Gouverneur von Louisiana amtiert, danach war er Senator in Washington. Unter dem Titel „Teilt unseren Reichtum“ forderte er nun höchste Steuern und Abgaben für die Reichen, damit jede amerikanische Familie ein einem eigenen Haus wohnen könne und ihr jährlich 3000 Dollar zur Verfügung stünden. Long hätte wohl zur echten Gefahr für Roosevelt aufsteigen können, wurde aber 1935 in Baton Rouge, der Hauptstadt von Louisiana, ermordet.

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Ähnlich radikal waren die Versprechen des Detroiter Radiopriesters Charles E. Coughlin – er wolle das gesamte Bankensystem verstaatlichen und machte dem Präsidenten mit angeblich 40 Millionen Hörern Konkurrenz. Aber auch er setzte sich nicht durch. Denn trotz aller Widersprüche gelang es Roosevelt mit seinem New Deal, den völlig verunsicherten Amerikanern Stück für Stück zu vermitteln, nicht zwangsläufig einem schlimmen Schicksal ausgesetzt zu sein. Das ist eine Leistung, die bisher kein Präsident nach ihm wiederholen konnte.

In der Gegenwart sind die Dinge noch schwieriger geworden: Eine Figur wie Donald Trump beweist, dass US-Präsidenten nicht mehr unbedingt für eine Wirtschaftspolitik gewählt werden, die dem Mittelstand nützt. Im Wahlkampf stellte er sich zwar auch als größter Ökonomiefachmann aller Zeiten dar, aber staatliche Hilfsprogramme hielt er für Sozialismus, also die Ausgeburt des Bösen. In der Covid-Krise war er allerdings dazu gezwungen, zu diesem Mittel zu greifen.

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Doch der Hauptgrund für seine Wahl im Jahr 2016 war, dass er sein überwiegend weißes Publikum da packte, wo es um Gefühle geht – bei seinem Selbstverständnis. Manche Trump-Wähler waren bereit, für Versprechen wie eine Grenzmauer gegen illegal einwandernde Mexikaner auf mehr Wohlstand zu verzichten. Man darf also gespannt sein, was es dem Amtsinhaber Joe Biden nutzen wird, dass er versucht, mit seiner Politik staatlicher Intervention zumindest teilweise an die Tradition Franklin Delano Roosevelts anzuknüpfen.

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