Die Fuji GW 690 II - nicht kleckern, klotzen! - Messsucherwelt (2024)

„Nobody expects the Spanish Inquisition!“

(Monty Python’s flying circus)

…und ich hatte auch nicht erwartet, dass ich mich mal mit so einer Kamera wiederfinden würde.Aber der Analog-Trip, auf dem ich seit einiger Zeit wandele, nimmt allmählich skurrile Formen an. Insofern, als dass ich eigentlich nie vorhatte, mich vom Kleinbild-Format zu entfernen. Doch irgendwie lockte mich schon länger die Neugier. Denn die Fuji GW 690 ist eine Messsucherkamera, und darum hatte ich schon vor Jahren ein Auge darauf geworfen. Nur, da die Kamera Dimensionen aufweist, als hätte Gulliver höchstpersönlich sie aus Brobdingnac (dem Land der Riesen) mitgehen lassen, hatte ich mich bei meinem manischen Hang zu kompakter Ausrüstung bisher zurückgehalten.

Dazu kommt das Unterbewusstsein: Die Kamera hat den Spitznamen „Texas-Leica“ (denn sie sieht aus wie eine zu gross geratene M3; und in Texas ist alles viel größer…), das brachte mich schon vor Jahren auf ihre Spur. Des weiteren verarbeitet sie 6X9 (120er) Rollenfilm, also echtes Mittelformat (nicht so ein digital gemogeltes wie bei der neuesten Fuji GFX, deren Sensor nur etwas größer als Vollformat ist). Das ist mehr als die 6-fache Fläche normaler Kleinbildnegative. Ein guter Scan kann da locker 150 bis 200 Megapixel Auflösung herausholen, von den dynamischen Qualitäten „echten“ Films mal abgesehen.

Dann war da noch der Retro-Trip: Die Kamera, mit der mir mein Großvater (der selbst ein Hobbyfotograf war) fotografieren beibrachte (irgendwann in der Jungsteinzeit…), war eine Agfa Laufbodenkamera Bj. 1936, die 120er Rollenfilm nahm. Ich habe noch eine Kiste Negative von ihm, die ich hüte wie einen Schatz. Vielleicht mache ich einmal einen Beitrag darüber.

Die Texas-Leica wurde 1978 von Fuji zum Gebrauch für professionelle Fotografen vorgestellt, meine GW 690 II ist eine Weiterentwicklung der ersten Modellgeneration. Wie erwähnt handelt es sich um eine Messsucherkamera mit festem Objektiv von 90mm Brennweite, das entspricht etwa 39mm im Kleinbildformat (lt.Bedienungsanleitung). Die größte Blende ist f/3.5, dies wiederum entspricht einem Tiefenschärfebereich wie bei f/1.7 (Kleinbild). Die Linse hat also ein ordentliches Freistellungspotential. Dazu wird der Optik eine nahezu rasiermesserscharfe Wiedergabe bescheinigt (was ich jetzt absolut bestätigen kann).

Das fest eingebaute Objektiv bringt den Vorteil mit sich, dass ein Lamellen- (Zentral-) Verschluss verbaut werden kann. Normalerweise sind solche Verschlüsse sehr diskret, aber aus einer Laune der Konstruktion heraus macht die Fuji ein Auslösegeräusch, das etwa so klingt, als würde man ein Pianoforte aus dem dritten Stock auf’s Strassenpflaster knallen lassen… Ein Zählwerk am Boden der Kamera gibt die Anzahl der Auslösungen wieder, denn Fuji empfiehlt eine Wartung nach ca. 5000 Aktivierungen des Verschlusses. Zum Glück gibt es auch heute noch Leute, die die Kamera reparieren und einstellen, wie ich bei dem von mir hochgeschätzen Stefan Groenveld erfahren konnte. Als ich meine Kamera hatte, stiess ich bei der Internetrecherche auf die Tatsache, dass er auch eine Texas-Leica hat (irgendwie landen die Leica-Leute, die sich mit Analog beschäftigen, wohl schnell bei dem Ding). Jedenfalls hatte seine einen verstellten Messsucher, der von einer Hamburger Firma wieder justiert wurde.

Am Morsum Kliff. Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160, Scan mit Epson V700 (Foto auf 2000 Pixel Kantenlänge verkleinert, Original 7743 Pixel)

Kürzeste Verschlusszeit ist 1/500 Sekunde. Die Kamera ist übrigens rein mechanisch, kein Belichtungsmesser, keine Elektronik. Um so besser, kann ich nur sagen. Ich habe mich inzwischen sehr gut an das Schätzen der Belichtungszeit gewöhnt (bei Tageslicht absolut kein Problem), ansonsten habe ich meist noch eine andere Kamera (M6 oder M10) dabei, von der ich ablese. Im übrigen gibt’s diverse App’s fürs Smartphone. Habe eine installiert, aber noch nie gebraucht.

Ich suchte ein gut erhaltenes Exemplar und wurde bei eBay fündig. Als die Kamera ankam und ich sie aus dem Karton hob, konnte ich mich eines breiten Grinsens nicht erwehren: Das Teil ist tatsächlich ein Monster! Zwischen meinen M-Bodies nimmt sie sich aus wie ein Elefant in einer Schafherde (siehe Bild oben). Sie wird übrigens oft als sehr Plastik-lastig beschrieben, aber dem kann ich mich nicht anschliessen. Sie besteht aus einem Metallgehäuse (an dem zwar viel Plastik rundum ist), das sich sehr solide anfühlt und mit dem Objektiv zusammen gut ausbalanciert ist.

Hafeneinfahrt von List.Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160, Scan mit Epson V700 (Foto auf 2000 Pixel Kantenlänge verkleinert)

Nun hatte ich das Teil, und es war drei Tage vor den Herbstferien. Wir wollten mit der Familie nach Sylt fahren, wo unsere Verwandtschaft lebt (denn mein Schwager ist ein „echter“ Sylter). An mir nagten Zweifel: Sollte ich die Kamera mitnehmen und benutzen, obwohl ich sie noch nicht getestet hatte? Schliesslich könnte der Messsucher total verstellt oder der Verschluss völlig lahm sein. Aber der Spieltrieb siegte natürlich, also landete sie im Reisegepäck (wo sie gefühlt den halben Koffer ausfüllte…). Kodak Portra Rollenfilm war auch schnell besorgt. Bei uns in der Gegend müsste ich bis Bielefeld fahren, um so etwas im Geschäft zu kaufen, darum will ich an dieser Stelle Nordfoto empfehlen, die alles, was das Herz des Analog-Fotografen begehrt, schnell liefern können. In diesem besonderen Fall (Eile) versicherte mir eine freundliche Mitarbeiterin am Telefon, den Bestellvorgang zu beschleunigen und siehe da! Schon am nächsten Tag kam der Film wie versprochen (auf Sylt hätte ich den auch nicht bekommen).

Sonnenuntergang.Fuji GW 690 bei f/4 1/250sec, Kodak Portra 160, Scan mit Epson V700

Trotz des akuten Misstrauens gegenüber der Funktionsbereitschaft der Kamera belichtete ich ein paar Rollen Film, machte aber parallel mit der M3 auch Fotos (weil ich da sicher war, dass die auch was werden…). Natürlich ist man mit Rollenfilm noch kritischer in Bezug auf das, was man ablichtet, denn es sind nur 8 Aufnahmen pro Film möglich. Der Hauptverwendungszweck der Kamera ist für mich eigentlich die Landschafts- oder Porträtfotografie (beides Gelegenheiten, wo man in Ruhe mit der Kamera hantieren kann und keine Hektik aufkommt), aber ich habe auch einen Verrückten auf YouTube gefunden, der sie für Street benutzte (meiner Meinung nach total bekloppt). Ein Stativ ist immer empfehlenswert, aber alle Fotos auf Sylt habe ich aus der Hand gemacht. Der Zentralverschluss lässt (trotz des infamen Auslösegeräusches) auch längere Zeiten aus der Hand zu, meistens hatte ich sie bei 1/500 Sekunde, verwackeln war also kein Thema.

Die Sylt-Fähre legt an (Roh-Scan von Openeyes). Gegenlicht-Foto, das alle guten Eigenschaften des Objektivs offen legt. Übrigens eine gute Gelegenheit, nicht alles zu glauben, was ein Belichtungsmesser anzeigt. Der von der M6 wollte mir weismachen, zwei Blenden weniger zu belichten und das wäre Quatsch gewesen. Dies ist der klassische Fall (am Strand, im Schnee oder wie hier bei stark reflektierenden Flächen) bei dem zuviel Helligkeit gemessen wird und man ganz bewusst ein, zwei Blenden überbelichten muss. Folgt man einfach der „Sunny-Sixteen“-Regel, muss man sich gar nicht erst Gedanken machen. Einfach 1/500 bei Blende 8 und – hey Presto! Bild im Kasten (Filmempfindlichkeit beachten, dies gilt natürlich für Kodak Portra 160).

Da ich nicht vorhatte, bei Wanderungen die Kamera am Gurt um den Hals hängen zu lassen (und die Umwelt zu erheitern), grub ich meinen alten LowePro-Rucksack aus, mit dem ich früher meine DSLR’s transportiert hatte. Da passte sie super rein, und in dem kleinen Fach oben fand auch die (Liliput-) M3 Platz. Das war dann bequem zu tragen.

Grupppenfoto mit „echten“ Syltern im Sturm. Scan mit Epson V700,Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160. Diese Bild habe ich mit 4000 Pixel Kantenlänge eingestellt, damit man die Auflösung besser beurteilen kann.

Der Besuch auf Sylt verlief sehr harmonisch und wir machten viele Wanderungen und Radtouren. Es war die zweite Woche der Herbstferien von NRW und die Insel war ziemlich voll. Das allein ist eigentlich kein Problem, aber mein Schwager, der im Gemeindebeirat sitzt, macht sich Sorgen um „seine“ Insel: Der Autoverkehr nimmt überhand, und keiner sieht ein, dass man gegensteuern muss. Bald ist die Hauptstrasse von Hörnum im Süden bis List im Norden nur noch ein einziger Parkplatz von Nobelkarossen. Dazu die Entwicklung im Immobilienbereich, die Insel wird den Syltern „unterm Hintern“ wegverkauft. Und das ist nur ein Teil der Probleme. Der Mammon regiert…

Noch von Sylt aus sandte ich die belichteten Filme zu OpenEyes nach Hamburg. Mit gemischten Gefühlen, denn es konnte ja gut sein, dass ich nur fehlbelichtete, unscharfe Bilder zurückbekam. Entsprechend gespannt war ich, als ich die CD der Rohscans auf dem Monitor öffnete. Und dann hocherfreut, Schwein gehabt, die Kamera funktioniert wie ’ne Eins! Alle Bilder sind was geworden, mit ausserordentlicher Dynamik und Schärfe, die schon in den Rohscans zu erkennen sind, was also, wenn man sich dazu mal einen High-End-Scan leistet? Ein paar Negative habe ich auch probeweise mit meinem Epson V700 gescannt (der bringt die immerhin schon auf ca. 40 Megapixel), mit gutem Resultat. Besser, als neulich mit Kleinbildfilm, offensichtlich spielt die Planlage der Negative eine große Rolle. Ein Leser, der selbst einen Epson V850 besitzt und damit sehr zufriedenstellende Ergebnisse hat, machte mich auf diesen Umstand aufmerksam (siehe Kommentare). Vermutlich ging ich mit dem V700 zu stark ins Gericht, zumal es auch eine Weiterentwicklung bei der derzeitigen Modellgeneration (V850) gibt.

Quermarkenfeuer Rotes Kliff, Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

Morsum-Kliff, Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

Hafen von List, Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

Abendstimmung. Fuji GW 690 bei f/5.6 1/500sec, Kodak Portra 160

Gegenlicht. Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

In den Dünen. Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

Fähre. Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

Bei Wenningstedt. Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

Volles Gegenlicht. Fuji GW 690 bei f/11 1/500sec, Kodak Portra 160

Morsum, Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

Strand bei Wenningstedt, Fuji GW 690 bei f/8 1/500sec, Kodak Portra 160

Einige der Rohscans von Openeyes. Wie man sieht, sind auch einige Gegenlicht-Fotos dabei, bei denen sich Film und Kamera gut schlagen.

Nach diesen positiven Eindrücken werde ich die „Texas-Leica“ sicher (vor allem hier zuhause) bei Landschaftsaufnahmen einsetzen. Vielleicht schicke ich sie aber dennoch mal auf Verdacht zu einer Wartung ein, der Messsucher ist z.B. ziemlich verstaubt. Die Zeit im November/Dezember ist bei uns eh nicht so die Hauptsaison für Landschaftsfotografie (das soll nicht heissen, dass man da nicht auch tolles Licht haben kann!). Es dauert noch knapp zwei Wochen, dann wird Leica ankündigen, was an Neuheiten kommt. Keine Ahnung, was das genau sein wird, aber möglicherweise ist was interessantes dabei. Gegebenenfalls verlagert sich dann auch mein Schwerpunkt mal wieder in Richtung digital.

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